Versicherungsrecht

Zum Unfallbegriff in der Privaten Unfallversicherung

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In der privaten Unfallversicherung kommt es nicht selten zu Streitigkeiten zwischen Versicherten und Versicherern. Zahlreiche Aspekte können dabei Anlass für außergerichtliche Auseinandersetzungen und Rechtsstreite sein. Einer der grundlegendsten Streitpunkte betrifft die Frage, ob im konkreten Fall überhaupt ein Unfall im Sinne der maßgeblichen Versicherungsbedingungen und des Gesetzes vorliegt.

1. Gesetzliche und vertragliche Definition des Begriffs „Unfall“

Das Gesetz (§ 178 VVG) und die einschlägigen Versicherungsbedingungen definieren den Unfall als ein plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis, durch welches diese unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

2. Das Merkmal „plötzlich“: Wie schnell muss etwas passieren, um ein Unfall zu sein?

Gemäß der obenstehenden Definition erfordert das Unfallgeschehen ein „plötzlich … auf den Körper… wirkendes Ereignis…“.

Die grundlegenden Aspekte sind noch die einfachsten:

  1. Zweck des Merkmals „plötzlich“ ist die Abgrenzung der versicherten „plötzlichen“ Geschehen von nicht versicherten allmählichen Ereignissen.
  2. Plötzlich muss die Einwirkung auf den Körper sein. Wann es zu einer Gesundheitsschädigung kommt, ist unerheblich.
  3. Der Begriff „plötzlich“ hat ein objektives und ein subjektives Element. Objektiv plötzlich ist ein Ereignis, wenn es in zeitlich kurzer Dauer auf den Körper einwirkt. Subjektiv plötzlich ist ein Ereignis, wenn es für den Versicherten unerwartet, unvorhergesehen und unentrinnbar war. Das Merkmal ist erfüllt, wenn das Ereignis entweder objektiv oder subjektiv plötzlich war.

Der Rest ist kompliziert.

Schon die fehlende zeitliche Grenze zwischen „plötzlich“ und „allmählich“ führt häufig zu Streit zwischen Versicherten und Versicherern. Auch bei einer allmählichen Einwirkung kann ein Unfall vorliegen, sofern ein äußeres Ereignis den Versicherten so in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt, dass er der Einwirkung hilflos ausgeliefert ist. So hat der BGH schon 1962 einen Unfall in einem Fall bejaht, in welchem ein Bergsteiger über Stunden hinweg Witterungseinflüssen ausgesetzt war und deswegen erfror. Entscheidend war in diesem Fall, dass sich das Kletterseil des Bergsteigers derart verhängt hatte, dass er plötzlich außerstande war, den Abstieg fortzusetzen und er den Witterungseinflüssen hilflos ausgesetzt war (BGH, Urteil vom 15.2.1962 – II ZR 95/60). Hingegen ist es nicht plötzlich, wenn ein Versicherter und sein dreijähriger Sohn sich bei einer etwa 25-minütigen Autofahrt in einer Ausnahmesituation aneinanderklammern und dadurch der Nerv des Versicherten geschädigt wird (OLG Hamm, Urt. v. 4.9.2024 – 20 U 10/24).

3. „Von außen“ wirkendes Ereignis: Wann liegt äußere Einwirkung vor?

Das (Unfall–) Ereignis muss von außen auf den Körper der versicherten Person einwirken.

Damit fallen Ereignisse, die ausschließlich durch einen inneren körperlichen Vorgang hervorgerufen werden, wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Spontanfrakturen, nicht unter den Unfall-Begriff. Auch das Aufrichten oder Hochschnellen aus der Hocke, welches zu einem Meniskusriss führt, ist ein innerer Vorgang und kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis.

Darüber hinaus werden bloße Eigenbewegungen, die willensgesteuert ablaufen, aber zu einer ungewollten Gesundheitsschädigung führen, nicht unter den Unfallbegriff. Dies umfasst zum Beispiel das Umknicken mit dem Fuß auf ebenem Untergrund. Tritt zum gewollten Bewegungsablauf (Aufsetzen des Fußes) keine äußere Ursache hinzu (Bodenvertiefung, Stolperkante), die die Bewegung unbeherrschbar macht, dann fehlt es an der Einwirkung von außen.

4. Ursächlichkeit zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung

Die bei der versicherten Person eingetretene Gesundheitsschädigung muss durch das Unfallereignis verursacht worden sein. Was beim ersten Lesen banal wirkt, ist Dreh- und Angelpunkt vieler Rechtsstreitigkeiten und Gegenstand medizinischer Sachverständigengutachten. An dieser Stelle wird auch extrem relevant, wie die versicherte Person das Unfallgeschehen gegenüber dem Versicherer (und/oder später vor Gericht) geschildert hat. Ist der beschriebene Unfallhergang schon biomechanisch nicht geeignet, die festgestellte Gesundheitsschädigung hervorzurufen, kann die von der versicherten Person zu beweisende Ursächlichkeit nicht angenommen werden.

So scheiterte zum Beispiel ein Kläger vor dem Landgericht Fürth, der sich bei einer verunglückten Snowboardfahrt den Innenmeniskus und das vordere Kreuzband verletzt haben wollte und eine Invaliditätsleistung aus seiner privaten Unfallversicherung geltend machte. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens stellte das Landgericht fest, dass bei einem Snowboard-„Unfall“ isolierte Meniskusverletzungen ohne weitere Begleitverletzungen an den umliegenden Weichteilen wie Kapsel, Muskeln, Sehnen oder auch Knochen genauso auszuschließen seien wie Kreuzbandverletzungen ohne eine Kapselläsion (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 06. September 2022 – 11 O 4657/21). Einfach ausgedrückt bedeutete dies für den Kläger, dass er keine Invaliditätsleistung bekam, weil es bis auf die Meniskus– und Kreuzbandverletzung keine weiteren Verletzungen am umliegenden Gewebe gab.

5. Das Merkmal „unfreiwillig“

Zu guter Letzt muss die versicherte Person den Gesundheitsschaden auch unfreiwillig erlitten haben. Ob das zum Gesundheitsschaden führende Ereignis freiwillig oder unfreiwillig stattgefunden hat, ist hingegen irrelevant.

Freiwillig erleidet natürlich zunächst einmal derjenige einen Gesundheitsschaden, der den Gesundheitsschaden bewusst gewollt hat. Aber auch derjenige, der den Gesundheitsschaden zwar nicht gewollt hat, ihn aber vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat, erleidet ihn freiwillig und erhält deswegen keine Leistungen aus der privaten Unfallversicherung.

Andererseits erleidet derjenige einen Gesundheitsschaden unfreiwillig, der sich zwar einem bestimmten, vielleicht sogar hohen Risiko aussetzt, dies jedoch in dem Glauben, dass schon nichts passieren wird.

Fazit

Ob ein Ereignis als Unfall gilt, hängt oft von kleinsten Details ab und genau diese können darüber entscheiden, ob der Versicherer zur Leistung verpflichtet ist oder nicht. Selbst scheinbar klare Sachverhalte scheitern in der Praxis häufig an der juristischen Definition des Unfallbegriffs oder an Fragen der Ursächlichkeit. Deshalb ist es wichtig, die eigene Schilderung des Unfallhergangs, die medizinischen Befunde und die Versicherungsbedingungen frühzeitig rechtlich prüfen zu lassen. Eine anwaltliche Begleitung kann helfen, Fehler in der Argumentation zu vermeiden und berechtigte Ansprüche konsequent durchzusetzen.

Wenn Ihre private Unfallversicherung eine Leistung abgelehnt hat oder Zweifel am Unfallbegriff bestehen, setzen Sie sich mit mir in Verbindung. Ich prüfe Ihren Fall gern im Rahmen einer Erstberatung.

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